Wir kämpfen für Willen von Holocaust-Überlebenden und ziehen vor das Höchstgericht

Bild: SJÖ

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Pacht des Grundstücks am Attersee durch die SJ eine unzulässige Spende sein soll. Wir werden uns dagegen mit allen juristischen Mitteln wehren. Denn der historische Hintergrund des Seegrundstücks und der Wunsch der Holocaust-Überlebenden wird völlig ignoriert – was auch die Nachfahren der einstigen jüdischen Eigentümer*innen scharf kritisieren.

Seit 1962 betreibt die Sozialistische Jugend (SJ) in Weißenbach am Attersee einen Campingplatz („Europacamp“) und ein öffentlich zugängliches Bad mit kostenlosem Eintritt sowie Gratis-Benutzung von Sanitär- und Sportanlagen. Was jahrzehntelang kein Problem war und vor allem von Jugendlichen und einkommensschwachen Familien mit Kindern geschätzt wird, wird seit 2018 von der ÖVP mit ihrem Landeshauptmann Stelzer skandalisiert. Dabei wird der historische Hintergrund der Liegenschaft völlig außer Acht gelassen. Denn beim Seegrundstück handelt es sich um ein während der NS-Zeit enteignetes Grundstück, das nach dem Ende der NS-Diktatur an die Nachfahren der jüdischen Eigentümer*innen Pollak restituiert und von ihnen anschließend an das Land Oberösterreich verkauft wurde – unter einer vertraglich festgehalten Bedingung: Oberösterreich muss das Seegrundstück der SJ für 99 Jahre um einen Anerkennungszins von jährlich 25 Schilling verpachten. Dass das Bundesverwaltungsgericht die Pacht dieser Grundstücke am Attersee jetzt als unzulässige Spende deklariert, ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir werden uns gegen diese Entscheidung mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln wehren und eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erheben.

Der Wunsch von Holocaust-Überlebenden darf nicht ignoriert werden

„Der Wille des jüdischen Geschwisterpaares Pollak war es, das Seegrundstück am Attersee für alle Menschen kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Der Vertrag mit dem Land Oberösterreich, in dem das festgehalten wurde, ist gültig“, sagt unser Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, der den Umgang Österreichs mit dem Willen von Holocaust-Überlebenden als „höchst bedenklich“ bezeichnet. „Die Ansicht, dass ein 70 Jahre alter Vertrag mit dem Land Oberösterreich heute eine unzulässige Spende an die SPÖ darstellen würde, ist nicht nachvollziehbar“, so Deutsch, für den klar ist: „Das Parteiengesetz darf kein Vorwand sein, bewährte Jugendarbeit im oberösterreichischen Seengebiet zunichtezumachen!“

Unterstützung erhält die SPÖ von Anthony Cohn, dem Enkel der ehemaligen Eigentümerin des Grundstücks am Attersee, Gertrude Webern (geborene Pollak), in einem Statement: „Der Wunsch unserer Familie, insbesondere der unserer Großmutter, wird ignoriert. (…) Unsere Großmutter hat zu Lebzeiten immer wieder deutlich gemacht, dass es ihr Wunsch war, dass die Sozialistische Jugend ihr ehemaliges Grundstück für ein Jugendlager mit freiem Zugang zum Attersee für die Öffentlichkeit nutzt.“ Cohn, der in Großbritannien lebt, kritisiert: „Dieser Wunsch wurde in einem Vertrag, den meine Großmutter, mein Großonkel und das Land freiwillig abgeschlossen haben, rechtlich festgehalten, wobei letzteres diesen jedoch nun einseitig bricht.“

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Die rechtlichen Argumente der SPÖ

Wir werden uns gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mit allen juristischen Mitteln zur Wehr setzen. „Es ist unsere Pflicht als gesamte Gesellschaft, den Willen von Holocaust-Überlebenden zu respektieren. Wir werden um das Vermächtnis der Familie Pollak kämpfen“, betont Deutsch. Denn wir sind der Ansicht, dass die Pacht der Grundstücke am Attersee durch die Sozialistische Jugend keine (unzulässige) Spende darstellen kann und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes auch sonst unrichtig ist.

  • Die „arisierte“ Liegenschaft wurde nach Rückgabe an die jüdischen Eigentümer*innen unter Auflage an das Land Oberösterreich veräußert.
    Nach der Restitution verkauften die Geschwister Pollak die Liegenschaft an das Land Oberösterreich ausdrücklich unter der Auflage der Einräumung eines Bestandrechtes an die Sozialistische Jugend. Der Kaufvertrag zwischen den ehemaligen jüdischen Besitzer*innen und dem Land Oberösterreich ist ein Vertrag zu Gunsten der Sozialistischen Jugend. Es liegt daher keine Spende vor; vielmehr konnte das Land Oberösterreich aufgrund dieser Auflage ein günstiges Grundstück in bester Lage direkt am See erwerben. Allenfalls liegt damit eine Spende der ehemaligen jüdischen Eigentümer*innen an die Sozialistische Jugend in den 1960er Jahren vor, die nach der damals geltenden Rechtslage zulässig war. Die Qualifikation des Pachtvertrages als Spende ist daher eine neuerliche Missachtung des Wunsches der ursprünglichen, aus rassistischen Gründen verfolgten Eigentümer*innen.
  • Der Pachtvertrag mit der SJ aus dem Jahr 1962 ist gültig.
    Die Überlassung der Grundstücke erfolgt damit nicht „freiwillig“, sondern aufgrund von vertraglichen Verpflichtungen und kann daher keine Spende darstellen. („Alt“-)Verträge sind unzweifelhaft ein Vermögenswert; weshalb die Entscheidung eine rückwirkende Enteignung der Sozialistischen Jugend bewirkt.
  • Die SJ erbringt gemeinwirtschaftliche Leistungen.
    Eine Spende liegt auch deshalb nicht vor, weil als Gegenleistung für die Überlassung der Seegrundstücke von der Sozialistischen Jugend zahlreiche gemeinwirtschaftliche Leistungen (freier Seezugang, kostenlose Parkplätze, Sanitäranlagen, Freizeiteinrichtungen) erbracht werden. Auf diese Erbringung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen durch die Sozialistische Jugend ist das Bundesverwaltungsgericht nicht eingegangen.

Das Vermächtnis der Holocaust-Überlebenden: Der freie Seezugang

Der freie Zugang zum Attersee ist nur mehr an 13 Prozent des Ufers möglich. Die Pacht des Grundstücks durch die gemeinnützige SJ garantiert jungen Menschen mit kleinen Einkommen den freien Seezugang – seit Jahrzehnten. Über 14.000 Menschen nehmen jedes Jahr dieses Angebot wahr. Der Anspruch des Europacamps ist klar „Jungen Menschen und Jugendgruppen soll ein leistbarer Urlaub ermöglicht werden“, sagt SJ-Vorsitzender Paul Stich, der betont, dass das Europacamp gerade auch all jenen zur Verfügung steht, „die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen sind“.

Die gesamten Kosten der Errichtung und des Betriebes der Infrastruktur im Seebad werden von der Sozialistischen Jugend getragen. Diese Infrastruktur wird der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Betrieb eines Jugendcamps und des freien Seezuganges konnten für die Allgemeinheit bisher nur aufgrund des umfangreichen Engagements von ehrenamtlichen Helfer*innen der Sozialistischen Jugend aufrechterhalten werden. „Wir verwehren uns dagegen, dass jungen Menschen einer der letzten freien, komplett kostenlosen Seezugänge am Attersee weggenommen werden soll“, bekräftigt Stich. Das Europacamp, das einen Camping- und Lagerplatz bietet und von vielen Sozialvereinen besucht wird, ist ein Ort der Jugend, der Erinnerung und der Bildung – ganz im Sinne der Holocaust-Überlebenden.

Der historische Hintergrund der Liegenschaft

Das Grundstück am Attersee, auf dem sich „Europacamp“ und „Europabad“ der SJ befinden, gehörte einst der Familie Pollak. Ludwig Pollak, Sohn der Familie, der mit seiner Schwester das Grundstück erbte, war Mitglied der damaligen Sozialdemokratischen Partei und der Sozialistischen Jugend. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft und seiner sozialdemokratischen Gesinnung wurde er im Austrofaschismus verfolgt und eingesperrt. Unter dem NS-Terrorregime wurden die Anwesen der Familie enteignet und „arisiert“. Die Geschwister Pollak flüchteten und überlebten die Gräuel des Holocaust. Später forderten sie die enteigneten Liegenschaften zurück, mussten aber eine hohe Ablöse zahlen. Aus Geldnot verkauften sie darum das Seegrundstück am Attersee an das Land Oberösterreich – unter der ausdrücklich festgehaltenen Bedingung, das Grundstück der Sozialistischen Jugend für einen Anerkennungszins zu verpachten.

DOWNLOAD: Stellungnahme von Anthony Cohn, Enkel der ehemaligen Eigentümerin des Grundstücks am Attersee